Der Vortrag wurde auf der Amalgamtagung am 22.11.1997 in Freiburg gehalten.


Beiträge der Tagung Freiburg 1997:
Humantoxikologische Aspekte von Amalgamzahnfüllungen

Juristische Aspekte der Amalgam Problematik
Prof. Dr. Erich Schöndorf, Fachhochschule Frankfurt am Main

Zwei Haftungen stehen zu Diskussion: die strafrechtliche und die zivilrechtliche. Sie haben unterschiedliche Zielrichtungen. Die strafrechtliche Haftung will Schuld sühnen und potentielle Folgetäter abschrecken, die zivilrechtliche Haftung hat den Ausgleich eines Schadens zum Ziel.

Unter Praxisbedingungen haben beide etwas mehr mit einander zutun: Geschädigte lassen gerne dem Strafrecht den Vortritt um risikolos ihre Chancen sondieren zu können. Denn das Strafrecht ist für den Anzeigeerstatter kostenfrei; im Zivilverfahren trifft ihn - bei Klageabweisung - das volle Kostenrisiko. Für beide Haftungen existieren zwei Anspruchsgegner: der Amalgam - Hersteller (H) so wie der Behandelnde Zahnarzt (Z).

Bleiben wir zunächst bei der strafrechtlichen Haftung. Im Vordergrund steht hierbei die Straftat der fahrlässigen Körperverletzung und darauf soll sich der Übersichtlichkeit wegen die Betrachtung auch konzentrieren. Sowohl im Verfahren gegen den H als auch gegen den Z ist die Feststellung eines Kausalzusammenhanges zwischen dem Vertrieb bzw. der Verwendung des Amalgams und gesundheitlicher Schäden erforderlich.

Zweifel gehen immer zu Lasten der Justiz. Die Kausalitätsfrage bildet den Zentralen Punkt der strafrechtlichen Haftung. Die Nachweisschwierigkeiten resultieren daraus, daß es verbindliche toxikologische Erfahrungswerte oder gar Gesetzmäßigkeiten in diesem Zusammenhang nicht gibt. Wie auch in den anderen Fällen der 'schleichende Vergiftung' ist der Kausalitätsbeweis in Form eines Indizienbeweises zu erbringen. Es müssen so viele belastende Umstände zusammen getragen werden, bis sich ein deutliches Nachweisbild ergibt.

Namentlich kommen hierbei in Betracht: Toxizität des Amalgams, Qualität der Verarbeitung, Gesundheitszustand des Geschädigten vor, während und nach der "Amalgamzeit", Beschwerdebild, Ausschluß konkurrierender Beschwerdeursachen wie chronische Leiden und alternative Gifte.

Im Amalgambereich haben die Hersteller auch deswegen "gute Karten", weil sie mit gewisser Aussicht auf Erfolg die zahlreichen neurologisch-psychiatrischen Auffälligkeiten der Geschädigten, die sich als Folge der bevorzugten Einwirkung des Amalgams auf das Nervensystem einstellen, uminterpretieren können in die Ursache des "sich-krank-fühlens". Auf der gleichen Schiene werden auch die Erfolge von Zahnsanierung und Entgiftungstherapie als Placebo-Effekte diffamiert.

Daher ist es in diesem Zusammenhang von entscheidender Bedeutung, daß als Sachverständiger ein klinischer Toxikologe mit einschlägigen Erfahrungen mitwirkt.

Neben der Kausalität bedarf die strafrechtliche Verurteilung noch des Nachweises eines Verschuldens. Im Fall der fahrlässigen Körperverletzung heißt das: H oder Z müssen pflichtwidrig gehandelt haben. Das ist dann der Fall, wenn sie Amalgam vertrieben oder angewendet haben, obwohl sie die krankmachende Wirkung des Mittels kannten oder kennen mußten.

Dabei muß nun differenziert werden: Vor allem die großen H hatten aufgrund ihres Zugangs zu der nationalen oder internationalen toxikologischen Literatur seit jeher um das mit dem Amalgam verbundene Risiko wissen müssen. Die im Rahmen des Frankfurter Amalgam-Verfahrens gefertigte Literaturrecherche belegt sehr eindrucksvoll, daß seit den zwanziger Jahren in den medizinischen Fachkreisen (Schulmedizin!) Amalgam heftig angefeindet wird.

Bei den Zahnärzten ist das anders: Mangels Beipackzettel der Hersteller und mangels eigenen toxischen Wissens kann man ihnen erst seit Anfang der neunziger Jahre - seit Einsetzen der intensiven Amalgam-Diskussion - ein entsprechendes "wissen müssen" unterstellen.

Beide - H wie Z - machen sich aber nur dann strafbar, wenn sie ihren Kunden, bzw. Patienten eine umfassende Aufklärung verweigern. Mit anderen Worten: H haftet nicht, wenn er den Abnehmer seines Amalgams, das sind regelmäßig die Zahnärzte, über das Gefahrenpotential des Produkts aufklärt. Im Beipackzettel muß detailliert auf sämtliche Risiken aufmerksam gemacht werden. Dabei kommt es nicht darauf an, ob bestimmte Zusammenhänge bereits naturwissenschaftlich bewiesen sind . Entscheidend ist allein, ob ernstzunehmende Stimmen entsprechende Zusammenhänge für möglich halten.

Das können selbstverständlich auch Alternativmediziner sein. Auch deren Bedenken müssen in den Beipackzettel. Für die Zahnärzte gilt entsprechendes: Sie müssen ihre Patienten über das Amalgam-Risiko frühzeitig, gründlich und umfassend aufklären. Nur dann ist ein Risiko bzw. ein späterer Schaden von der Einwilligung des Geschädigten gedeckt und der Zahnarzt ist von der Haftung freigestellt.

Für die zivilrechtliche Haftung auf Schadenersatz und Schmerzensgeld gemäß § 823 BGB (diese Vorschrift steht in der Praxis an aller erster Stelle) gilt im Hinblick auf die Kausalität das zuvor Gesagte. Beim Verschulden liegt die Sache insofern anders, als hier eine Beweislast-Umkehr greift: Der Kläger muß, wenn er die Kausalität unter Beweis gestellt hat, nicht mehr beweisen, daß H oder Z schuldhaft gehandelt haben. Allerdings haben H und Z die Möglichkeit, ihr Nichtverschulden zu beweisen.

Nach neuerer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs umfaßt die Beweislast-Umkehr auch die sogen. Objektive Pflichtwidrigkeit. Konkret bedeutet das: Wenn feststeht, daß ein bestimmter Gesundheitsschaden durch das Amalgam eines bestimmten Herstellers verursacht worden ist, dann kann der Hersteller sich einer Haftung nur noch dadurch entziehen, daß er darlegt und beweist, daß es trotz aller Anstrengungen nicht möglich war, die Risiken zu erkennen und zu erfassen.

Rechtstheoretisch sieht es von daher für die Geschädigten - jedenfalls auf der zivilrechtlichen Ebene - nicht schlecht aus. Die eher vorsichtig geäußerte Frage, ob denn auch der Zahnarzt eventuell hafte, wird richtigerweise zunächst mit einer Gegenfrage versehen: Warum eigentlich nicht? Die Praxis sieht allerdings anders aus. Die Haftung von Hersteller oder Zahnarzt ist immer noch eine Ausnahme - trotz der zahlreichen Schadensfälle.

Auch das Frankfurter Amalgam-Strafverfahren endete mit einer Einstellung, wenn auch gegen Zahlung von 1,5 Mio. DM. Zwischen den modernen Erkenntnissen der Umweltmedizin und der juristischen Praxis klafft immer noch eine große Lücke. Juristen brauchen manchmal sehr lang. Trotzdem: Die Tendenz zu mehr Patientenschutz ist unverkennbar. Wohlüberlegt sollte dieser Weg weiter beschritten werden.

 


Das Seminar Humantoxikologische Aspekte von Amalgamzahnfüllungen am 22.11.97 in Freiburg wurde veranstaltet von der Umweltakademie Freiburg in Zusammenarbeit mit